Patient:innen der Heil- und Pflegeanstalt im Michaeliskloster als NS-Opfer

Zur Geschichte der Heil- und Pflegeanstalt Hildesheim

Auf dem Michaelishügel befinden sich heute in unmittelbarer Nachbarschaft der Michaeliskirche das Zentrum für Gottesdienst und Kirchenmusik sowie das Gymnasium Andreanum. Seit dem 11. Jahrhundert war auf dem gesamten Gelände ein von Bischof Bernward gestiftetes Benediktinerkloster untergebracht. Dieses existierte bis zur Säkularisierung 1803. Die Kirche war bereits seit 1542 evangelisch-lutherische Pfarrkirche.

1827 wurde in den Räumen des Klosters die Heil- und Pflegeanstalt Hildesheim untergebracht. Sie diente der Behandlung psychisch erkrankter Menschen. Die Anstalt wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts um das Gelände des Magdalenenklosters, einen Neubau in der Sülte sowie – außerhalb der Stadt – ein Gut in Einum erweitert, um die steigende Anzahl an Patientinnen und Patienten aufnehmen zu können. Insgesamt waren dann dauerhaft mehrere hundert Personen gleichzeitig stationär untergebracht. Die hygienischen und sanitären Verhältnisse in den verschiedenen Abteilungen der Anstalt blieben unzureichend, eine Modernisierung erfolgte erst in den 1920er-Jahren.

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten hatte auch für die Hildesheimer Heil- und Pflegeanstalt Konsequenzen. Nach den Vorstellungen der Nationalsozialisten galten Menschen mit psychischen Krankheiten, geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen als minderwertig. Auf Grundlage des 1933 erlassenen "Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" wurden auch an Bewohnern der Hildesheimer Anstalt über mehrere Jahre hinweg Zwangssterilisationen durchgeführt.

Nach Kriegsbeginn folgte die systematische Ermordung von Patienten aus Heil- und Pflegeeinrichtungen, beschönigend bezeichnet als Euthanasie (s. u.). Auch die Hildesheimer Anstalt reichte Patientenlisten ein, nach denen eine Auswahl von Personen erfolgte, die ermordet werden sollten. Der Hildesheimer Anstaltsleiter Dr. Hermann Grimme wandte sich zunächst gegen dieses Vorhaben. Als jedoch die Entscheidung über die Patienten aus seiner Einrichtung anstand, überließ er diese Aufgabe seinem Stellvertreter Dr. August Jacobi.

Verteilt auf mehrere Transporte wurden zwischen März 1941 und August 1943 insgesamt mindestens 378 Männer und Frauen aus Hildesheim in Tötungsanstalten gebracht und dort ermordet.

Ab August 2024 erinnern wir im Innenhof des Michaelisklosters an jedes Opfer mit Namen und Geburtsjahr. Auf diese Weise soll die Erinnerung an diese Menschen und an das Unrecht, das ihnen geschehen ist, wach bleiben.

Euthanasie

Als Euthanasie wird ein Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus bezeichnet. In der Zeit von 1933 bis 1945 wurden viele Schwerstkranke, behinderte oder unheilbar kranke Menschen, darunter auch Kinder und alte Menschen, auf staatlichen Befehl hin planmäßig getötet. Die Nationalsozialisten betrachteten diese Menschen als "unwertes Leben", ihre Ermordung bezeichneten sie beschönigend als Euthanasie (Gnadentod). Die geheime Dienststelle, in der diese Massenmorde organisiert wurden, befand sich in der Berliner Tiergartenstraße 4; deshalb erhielt die Aktion den Namen "T4".

Die Heil- und Pflegeanstalten mussten Meldebögen mit Patientendaten abgeben, nach denen Ärzte Personen aussuchten. Diese wurden in Gruppen aus den Einrichtungen abgeholt, in Tötungsanstalten gebracht und dort oftmals sofort ermordet, zumeist vergast.

Die Angehörigen der Getöteten erhielten Sterbeurkunden mit fiktiven Todesursachen, um die Ermordungen zu vertuschen. Als sich Gerüchte über die vorsätzlichen Tötungen verbreiteten und auch von kirchlicher Seite Protest kam, wurden die Ermordungen zunächst eingestellt. Tatsächlich fanden aber weiterhin Patientenmorde statt, nun aber auf verstecktere Weise. Diese Tötungen erfolgten oftmals durch Mangelernährung oder Gabe von Medikamenten. Die Zahl der Opfer wird heute auf etwa 300.000 Menschen geschätzt.

Weiteres Gedenken an Euthanasie-Opfer in Hildesheim

Seit 2005 wird auf dem Gelände des Gymnasium Andreanum sowie des heutigen Ameos-Klinikums (als Nachfolgeeinrichtung der Anstalt) an die Euthanasie-Opfer der Heil- und Pflegeanstalt erinnert (s. Abbildungen). Die Entwürfe stammen beide von Andreanerinnen.

Seit 2018 informiert eine Stele der Initiative Vernetztes Erinnern am Eingang des Magdalenengartens an die Euthanasie-Opfer. Vor dem ehemaligen Sültekloster rufen seit 2024 vier Stolpersteine zum Gedenken an die ermordeten Paula Bottländer, Georg Birnbaum, Agnes Meyer und Karl Pahl auf.

Astrid Buhrmester-Rischmüller

Weiterführende Literatur zum Thema

Geschichte der Heil- und Pflegeanstalt Hildesheim

  • Schäfer, Klaus: Die Heil- und Pflegeanstalt im Michaeliskloster 1827 bis 1946. In: St. Michaelis zu Hildesheim. Geschichte und Geschichten aus 1000 Jahren Hildesheim 2010 (Veröffentlichungen der Hildesheimer Volkshochschule zur Stadtgeschichte Hildesheims, Heft 15), S. 188-196.
  • Reiter, Raimond, Ritzel Günther: Die Eröffnung der neuen Heil- und Pflegeanstalt im Jahr 1827. In: 175 Jahre Niedersächsisches Landeskrankenhaus Hildesheim (1827–2002). Hildesheim 2002, S. 27-36.
  • Sueße, Torsten: Hilflose Empörung angesichts des Unfassbaren. Die Konfrontation der Landes-Heil- und Pflegeanstalt Hildesheim mit den nationalsozialistischen Vernichtungsmaßnahmen, in: 175 Jahre Niedersächsisches Landeskrankenhaus Hildesheim (1827–2002). Hildesheim 2002, S. 37-46.
  • Reiter, Raimond: Zwangssterilisationen von Patienten der Lande-Heil- und Pflegeanstalt im "Dritten Reich". In: 175 Jahre Niedersächsisches Landeskrankenhaus Hildesheim (1827–2002). Hildesheim 2002, S. 47-54

Websites

Euthanasie

Hohendorf, Gerrit: Die Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ im Deutschen Reich. In: Osterloh, Jörg; Schulte, Jan Erik; Sybille Steinbacher (Hg.): "Euthanasie"-Verbrechen im besetzten Europa. Zur Dimension des nationalsozialistischen Massenmord, Bonn 2023, S. 47-70.
Klee, Ernst: "Euthanasie" im Dritten Reich. Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“; Frankfurt am Main 2010 (Neuaufl.).
Rotzoll, Maike: Die nationalsozialistische "Euthanasie"-Aktion "T4" und ihre Opfer; Paderborn 2010.
Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas (Hrsg.): Tiergartenstraße 4. Gedenk und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde; Berlin 2015.

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